1,35 Euro Stundenlohn – sind wir wirklich nur so wenig wert?
von Redaktion
Deutschland hat gewählt, und zum ersten Mal hat es eine Ampelkoalition an die Macht geschafft. Doch was ändert sich dadurch bei den Empfängern, die gerade mal 1,35 Euro Stundenlohn beziehen, welche Bedeutung hat dies für die Werkstätten behinderter Menschen?
„Der Wechsel aus der Werkstatt auf den Arbeitsmarkt findet noch zu selten statt“, sagt die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen. In den Betriebsstätten arbeiten per Definition Leute die nicht, noch nicht oder noch nicht wieder unter den Bedingungen des ersten Arbeitsmarktes arbeiten können. Mehr als 320.000 Personen sind in den 2.900 Werkstätten eingesetzt. Geschätzt wird, dass eine Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt nur rund einem Prozent gelingt, 99 Prozent arbeiten also weiterhin für durchschnittlich 200 Euro pro Monat.
„Von dem Geld kann man nicht leben, das ist ein Hungerlohn“, sagt Lukas Krämer, der die Petition „Stellt uns ein“ gestartet hat, die sich für den Mindestlohn und Anstellung in einem Arbeitnehmerverhältnis einsetzt.
Doch das ist gar nicht so einfach, denn der Mindestlohn müsste erwirtschaftet werden. Das würde wiederum einen enormen Druck auf die Betriebe und die Mitarbeitenden ausüben. Derzeit zahlen die Werkstätten ein Arbeitsentgelt, das sich aus einem Grundbetrag von mindestens 99 Euro pro Monat und einem individuellen Steigerungsbetrag zusammensetzt. Hinzu kommt ein steuerfinanziertes Arbeitsförderungsgeld von 52 Euro, was aber für die meisten Menschen zu wenig ist, weswegen zur weiteren Unterstützung die Grundsicherung dazu kommen muss.
Das Arbeitsministerium hat zu diesem Thema eine Studie gestartet, „die ein transparentes, nachhaltiges und zukunftsfähiges Entgeltsystem hervorbringen soll. Laut der Analyse ist das Entgelt im Verlauf der Jahre sogar gesunken: Während das monatliche Entgelt im Bundesdurchschnitt von 238,58 Euro im Jahr 2017 auf 228,86 Euro im Jahr 2018 gestiegen war, fiel es 2019 auf 220,28 Euro.
Und was sagen die drei Regierungsparteien zum Thema Inklusion?
„Wir setzen uns dafür ein, dass eine einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber*innen kleiner und mittelständischer Unternehmen geschaffen wird, die bei Fragen beispielsweise zu Barrierefreiheit oder Lohnzuschüssen berät“, sagt die SPD, während die FDP findet, dass die Werkstattbeschäftigten „ein großes und zu wenig berücksichtigtes Potenzial für den ersten Arbeitsmarkt“ darstellen. Die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer, die einst Sprecherin für Behindertenpolitik in Deutschland war, beobachtet die Entwicklung mit Sorge: „Es werden mehr Beschäftigte, der Übergang wird schwieriger und den Werkstätten fällt es schwerer, konkurrenzfähig zu wirtschaften.“ Auch Rüffer ist der Meinung, dass der Werkstattlohn so nicht bleiben dürfe. Sie findet aber, dass die Diskussion über den Mindestlohn zu kurz greift und fordert, das komplexe System müsse „aufgedröselt und grundlegend reformiert“ werden.
Von Verbesserungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt spüren Werkstattbeschäftigte nach einer Studie von Handelsblatt und Aktion Mensch zu wenig. „Werkstätten stehen vor der Herausforderung, personenzentrierte und qualitativ hochwertige Teilhabeangebote zu ermöglichen und dabei wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen, damit neben der erbrachten Rehabilitationsleistung auch Arbeitsentgelte für die Beschäftigten mit Behinderung bezahlt werden können.