Sie kann (fast) alles
Gabriele Rothe, 63, findet nach einer Lebenskrise bei druck + schick’s zurück ins Arbeitsleben.
„Wenn die Chemie stimmt, ist alles gut“, sagt Gabriele Rothe. Gerade ist alles gut. Sie strahlt. Ihr pinkes T-Shirt unterstreicht die positive Ausstrahlung. Trotz der angegrauten Haare wirkt sie mit 63 sehr jugendlich und aufgeschlossen. Doch das könne sich sehr schnell ändern, verrät sie. Sobald Menschen dominant auftreten, wird sie schlagartig still und zieht sich in sich zurück. „Kundenkontakt - das haut nicht hin für mich“, sagt Rothe und schüttelt vehement den Kopf.
Rothe arbeitet bei druck + schick’s, dem Druck- und Versandservice der gpe in Mainz. Hier sind viele Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen als Werkstattmitarbeiter beschäftigt. Sie bereitet Mailings vor, bestückt Postkisten mit Briefen, Flyern, kontrolliert die Mengen und gibt sie dann zur Verarbeitung weiter. Allerdings immer über ihre Vorgesetzten: „Ich bin ja nicht die Chefin. Es soll kein falscher Eindruck entstehen bei den Kollegen.“
Niemals hätte die anpackende Frau gedacht, dass sie einmal als Werkstattmitarbeiterin „endet“. 25 Jahre lang arbeitete sie als Phonotypistin/ Schreibkraft, hat eine Tochter, lebte dreieinhalb Jahre mit ihrer Familie auf Menorca. Doch dann zerbrach die Beziehung. Als sich das Leben auf den Balearen als Alleinerziehende nicht mehr stemmen ließ, kehrte sie 2016 zurück nach Deutschland.
Damit fingen die Probleme erst richtig an. Ihre Mutter war zwischenzeitlich verstorben, sie kam zunächst bei ihrer Schwester unter - und suchte dringend einen Job. Doch das gestaltete sich als schwierig. Immer wieder wurde sie befristet angestellt, doch nie lief es auf etwas Längerfristiges hinaus. „Ich habe wirklich alles gemacht, um Fuß zu fassen, wieder reinzukommen ins Berufsleben“, sagt Rothe. Als dann noch die privaten Probleme dazukamen, kam sie an einen Punkt, an dem sie „nicht mehr wollte“, erzählt die gebürtige Bingerin von ihren Suizidgedanken.
2009 kommt sie erstmals in die Rheinhessen-Fachklinik (RFK) nach Alzey. Bis dahin war sie noch nie mit einer psychiatrischen Einrichtung in Berührung gekommen. Sie bleibt 13 Wochen. Wird medikamentös behandelt, therapiert. Und stellt fest: „Ich habe mich dort gut aufgehoben gefühlt.“ Als sie wieder rauskommt, ist die versprochene Stelle weg, sie merkt auch, dass sie nicht mehr belastbar ist. Immer wieder zieht es ihr den Boden unter den Füßen weg, erzählt Rothe. Insgesamt sieben Mal wird sie noch selbst Zuflucht in der RFK suchen.
Dort kommt sie auch erstmals mit der gpe in Kontakt. Über eine berufliche Integrationsmaßnahme (BIMA) macht sie ein Praktikum im Alzeyer Bauamt. Weitere Praktika in anderen gpe-Betrieben folgen, bis sie sich schließlich auf die Druckmaschine bei druck + schick’s fixiert: „Ich durfte machen, ich durfte drucken - es war einfach schön!“
Auch als die alte Maschine schließlich wegkommt, bleibt sie gerne bei druck + schick’s: „Unsere Fachanleiter sind die besten!“ Sie engagiert sich gerne und viel. Manchmal zu viel, dann wird sie sanft ausgebremst. Das sei der Unterschied zur freien Wirtschaft: „Da wird bei hohem Tempo oft noch angezogen oder die Aufgaben werden mehr und mehr. Hier kann ich in einem sicheren Umfeld arbeiten und mehr auf mich selbst achten.“
Die reduzierte Arbeitszeit mit 25 Wochenstunden kommt Gabriele Rothe entgegen, alleine schon wegen der langen Anfahrt. Die Achtsamkeit und Wertschätzung, die sie auf der Arbeit erfährt, helfen ihr dabei, stabil zu bleiben, erzählt sie stolz. Vor einem Jahr konnte sie sogar die Psychopharmaka absetzen. Rothe hat gelernt, dass sie nicht jeden Tag gleich belastbar sein kann - und auch nicht muss.